Stecken wir mitten in einem neuen Weiskandal?!

Moritz, wie bist Du zum Weinhändler geworden?

Der Gedanke kam mir schon Anfang der 2000er. Ich war noch Sommelier. Die ersten alternativen Weine aus dem Jura, dem Roussillon, der Loire tauchten auf. Ich war fasziniert und wollte sie unbedingt meinen Gästen zeigen. Die waren aber vor allem verunsichert. :-) Ihre Euphorie galt dem Höhenflug des österreichischen Weines.
Es war die große Zeit von Robert Parker & Co. Journalisten entschieden durch ihr Urteil, was getrunken wurde. Berater, wie Michel Roland, waren deren Alchemisten. Sie konnten Wein mit Weltruhm einfach im Keller machen! Unglaublich war das. Der Glamour des sagenhaften Erfolgs der Top Chateaux im Bordeaux berauschte.  Nur Superlativen zählten, wie  das transatlantische Mega Joint Venture à la Opus One. Wir alle waren geblendet, ob der technologischen Möglichkeiten.  

Kaum merklich für Außenstehende, knirschte es aber hinter der strahlenden Fassade. Große Genossenschaften gingen pleite. Überall waren verlassene Weingärten zu finden, die Landpreise verfielen. Die Folgen der industriellen Landwirtschaft wurden erstmals öffentlich. Zeitenwende lag in der Luft. Die günstigen Grundpreise zogen Leute aus der ganzen Welt nach Frankreich. Überall sprossen neue Projekte. Man hörte von Quereinsteigern und Aussteigern, jungen Sommeliers oder Önologen, die ihren Job an den Nagel hingen, um Weinbauern zu werden. Vielen davon war ökologischer Landbau ein Anliegen. Eine bunte Welt des trial and error. 

Für sie wurden verschrobene alte Weinbauern zu Gralshütern eines neuen Weges. Sie waren die wenigen, die noch vorindustriell arbeiteten und das Wissen besaßen ohne Labor und Hightech zu vinifizieren. Sie waren die Keimzellen der Naturweinbewegung. Und irgendwie landete ich mitten in dieser Welt. Denn durch Zufall ergab sich eine Chance für mich, im Roussillon Wein zu produzieren. Mit großem Gottvertrauen gründeten wir, drei französische Freunde und ich, die Domaine Riberach. Das war im Jahr 2006. Das Roussillon war neben der Loire und dem Beaujolais eines der Zentren der Veränderung. Spannende Leute überall. Euphorie pur! Als wir dann unsere Weine abfüllten und es ums Verkaufen ging, musste ich aber feststellen, dass in Österreich die Zeit stehen geblieben war. Man wollte einfach nur, Wachau, Steiermark, die großen Namen des Burgenlands. Doch irgendwie mussten wir die Weine verkaufen! 

Stecken wir Mitten im neuen Weinskandal?

So wurdest du also Importeur?

Noch nicht gleich. Erich Wagner, der einzige inspirierte Weinhändler war offen. Er half mir sehr, aber das war zu wenig! Ich dachte mir, wenn ich will, dass die Konsumenten verstehen was wir hier machen, muss ich ihnen die ganze Vielfalt dieser neuen Bewegung zeigen. So war ich gezwungen, es selbst in die Hand zu nehmen. Behutsam begann ich mit kleinen Mengen mein Portfolio aufzubauen, denn Geld hatte ich auch keines. Zum Glück traf ich eine Handvoll junger österreichischer Sommeliers und Winzer, die mich darin bestärkten und mir die Stange hielten. Denn für die österreichischen Konsumenten waren diese Weine weiterhin sehr exotisch. Ohne René Antrag, Steve Breitzke und Konstantin Filippou hätte ich nie weitermachen können. Ihnen bin ich bis zum heutigen Tag zu großem Dank verpflichtet.  

Wie ging es dann weiter? 

In Österreich gab es bereits seit längerem  ein  paar großartige Pioniere, die sich in der Winzergruppe "Schmecke das Leben" zusammengefunden hatten. Das waren Winzer wie Sepp Muster, Franz Strohmeier und Ewald Tscheppe vom Weingut Werlitsch, um nur ein paar  davon zu nennen, doch auch sie taten sich am heimischen Markt schwer. Sie mussten sich auf den Export konzentrieren. Dort wurden sie zu Superstars, unbemerkt vom heimischen Publikum. Denn die Geschmacksbilder der Konsumenten in Österreich waren so fixiert. Alles ab der Norm wurde abgelehnt. Gleichzeitig machte Franz Strohmeier einen eigenen Wein für das "Noma". Es war zum Verzweifeln. Es war eine große Lehrstunde in Geduld. 

Der wirkliche Durchbruch kam, als sich vermehrt österreichische Produzenten dem Thema Naturwein näherten. Vor allem mit den Pannobile Winzern, für die ich seit 2006 arbeitete, gab es eine unglaublich fruchtbare Zusammenarbeit. Sie trieben mich voran, lehrten mich Vieles. Gemeinsam machten wir Bildungsreisen, deren Erkenntnisse in ihre Weinbereitung einflossen. Es entstanden neue wichtige Betriebe, wie das Gut Oggau die von Anfang an Weine in diesem Stil erzeugen wollten. Christian Tschida verfeinerte seinen Stil und beeindruckte zusehends eine größere Öffentlichkeit. Sie alle schufen einen neuen Stil des Weins in Österreich. Das Burgenland war da ein großer Motor für die Entwicklung. Mit diesen Winzern konnte eine neue Generation an Kunden heranwachsen. Mit jedem Jahrgang wurden die Winzer mutiger, die Weine freier und die Konsumenten wuchsen mit.

Heute gibt es eine nächste Generation an spannenden österreichischen Winzern. Viele von ihnen haben bei den oben genannten gelernt und das Wissen in ihre elterlichen Betriebe einfließen lassen. Junge Winzer, wie Matthias Warnung oder Christoph Heiss, die wiederum nun eine nächste Generation beeinflussen. Im Moment gibt es in Österreich eine fulminante Entwicklung und wir, als Weinskandal wollen ihr Zuhause sein.  

Warum eigentlich der Name Weinskandal?

Die Weine, für die ich brannte, verstießen scheinbar gegen alle Regeln des guten Geschmacks. Vor allem des gesetzlichen! Sie alle waren nach österreichischer Definition keine Qualitätsweine. Dabei waren sie einfach nur möglichst unverfälscht gemachte Weine! Unfiltriert, spontan vergoren. Zutiefst traditionell. Ohne massive Zusätze und technischen Aufwand produziert. Damit waren sie vom Geschmack her anders und somit keine Qualitätsweine. Das fand und finde ich skandalös! Denn es ist bis heute so! Dafür sind Weine mit hunderterlei Zusätzen erlaubt, von Tartrat über Enzyme bis Tannin. Ohne Deklarationspflicht am Etikett. Diese Weine stehen im Regal alle neben einander, unmöglich für den Konsumenten zu unterscheiden. Für mich eine unerträgliche Situation. Denn es wird nicht ehrlich kommuniziert! Ähnlich wie zu Zeiten des Weinskandals - überspitzt gesagt. 

Gibt es also einen neuen Weinskandal? 

Ich hoffe nicht! Doch kann es nicht sein, dass verängstigte Weinbaufunktionäre im Schulterschluss mit großen Chemiekonzernen eine Branche in Geiselhaft nehmen. Keine Veränderung zulassen. Die wesentlichen Grundzüge wären, eine Deklarationspflicht, ähnlich der von Lebensmittel; weiters eine neue Definition von "Qualitätswein". Unsere ist über 30 Jahre alt. Wir reden hier nicht von Weinen, die in irgendeiner Art und Weise gesundheitsgefährdend sind! Das Gegenteil ist eher der Fall!  Was damals  teilweise als Weinfehler festgelegt wurde, ist im historischen Kontext schlüssig, aber eigentlich vollkommen willkürlich. Denn so wie es heute ist, dass beispielsweise ein Grüner Veltliner, der aufgrund von Reinzuchthefen nach Sauvignon blanc schmeckt, als herkunftstypisch durchgeht, aber ein spontan vergorener Wein dies nicht schafft, das finde ich absurd. Ungeschönte Weine sind keine exotische Erscheinung, es sind Weine die in handwerklicher Tradition hergestellt werden. Nur weil der Wein leicht trüb ist, wird er als hochfärbig und mostig, somit als fehlerhaft abgeurteit. Das ist extrem frustrierend für Winzer.  Bei Bier gibt's Zwickel! Warum darf es bei Wein keine Kategorie geben? Das wäre für Konsumenten extrem hilfreich! Heute wird der Wein automatisch abgewertet auf Landwein, ohne Herkunft und Sorte! Wenn ein Wein stark nach den Röstaromen des Fasses schmeckt oder den zugesetzten Aromen eines solchen, hat er kein Problem. Dieser Wein ist für mich aber fehlerhaft. Was hat denn das mit Sortentypizität zu tun? Konsumenten haben heute andere Ansprüche als gestern. Es geht viel mehr um Bekömmlichkeit, Inhaltsstoffe, nachhaltige Bewirtschaftung und um glaubwürdige Deklarationen! Also eine große Chance für ein Gütesiegel, wir dürfen sie nicht versäumen!

Welche Rolle kommt dabei dem Weinhandel zu? 

Ich denke, hierbei fällt uns eine große Rolle zu. Wir beraten und informieren Kunden. Wir sind ein Sprachrohr der Winzer. Obwohl das vielleicht bei all den Rabattschlachten etwas aus den Augen verloren wurde. Wein ist kein Gebrauchsartikel. Es ist ein Kulturgut und darin liegt auch die Chance für uns als kleine Händler.

Wie meinst du das?

Wir müssen Botschafter dieses Kulturgutes sein, nicht nur Logistiker. Das machen Amazon oder Merkur besser. Ein klares Profil haben. Nicht von jedem Dorf einen Hund. Das bedeutet, reisen, verkosten, die Leute hinter den Weinen kennen lernen. Das  bedeutet viel Einsatz von Zeiten und Kosten. Es macht aber auch viel Spaß und es kommt viel zurück. Wenn wir  Botschafter dieser Menschen sind, dann ist unsere Arbeit wertvoll und  dann können wir auch etwas bewegen. 

Was sind so die aktuellen Anliegen von dir?

Zum Beispiel, den Konsumenten ihre Verantwortung vor Augen führen. Es  kann nicht sein, dass ein Bauer für ein Jahr Arbeit nicht einmal einen Euro pro Kilogramm Trauben bekommt! Der Konsument hat es aber in der Hand. Es gibt eine Faustregel für Kosten, netto, € 1,-- das Kilo Trauben für den Bauern, € 1,-- die Flasche, der Kork, das Etikett, dann kommen der Transport und die Lagerkosten darauf, die Marge des Händlers und die Steuern! Bei uns kostet der günstigste Wein € 6,50 (Anmerkung: Stand 2018/19). Das ist ein Wert der durchaus möglich ist. Aber darunter? Diese Rechnung zahlt immer der Bauer! Das ist einfach vielen nicht bewusst. Wie geil ist Geiz denn wirklich?

Auch versuchen wir, den Kunden vor Augen zu führen, dass es nicht egal ist, was sie trinken!  Biologisch bewirtschaftete Weingärten, die schadstoffärmere Weine produzieren. Wenn es ihnen beim Essen ein Anliegen ist, warum dann nicht auch beim Trinken? Es geht hier um unsere Gesundheit!  

Abschließend, wie geht es weiter mit Weinskandal? Was gibt es Neues?

Keine Ahnung! Es gibt noch so viele Dinge, die uns beschäftigen. Im Moment versuchen wir gerade, spannende internationale Weinmagazine aufzutreiben, wie Pipette, Glou Glou oder Nobel Rot. Neue Stimmen und Meinungen nach Österreich zu holen. Dort findet man tolle Reportagen, wunderschöne Hefte, tolles Art work. Weiters stecken wir viel Zeit in die Texte von www.weinskandal.at - es soll noch stärker unsere Welt abbilden. Es gibt noch so viel, das in uns schlummert. Insider Tipps von Bars und Restaurants in anderen Städten, Reiseberichte, Interviews mit Winzern...

Dann fahren wir nächste Woche nach Frankreich, um viele Weingüter zu besuchen, unter anderen ein paar neue, auf die ich mich schon sehr freue. Aus dem Jura, Savoyen, Beaujolais, Burgund. Wir werden sehen. Wie es aussieht bekommen wir Chateau de Béru aus dem Chablis für Österreich neu dazu. Ich bin schon voller Vorfreude.

 

Also einfach wieder hineinschauen, we'll keep on rocking!

Das Interview mit Moritz Herzog führte Sonja Zettl, jetzt neu in der Weinskandal online Redaktion.

 

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews: "Was ist Naturwein?"


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